Die Goldene Himbeere – oder der Razzie Award – ist Hollywoods boshaftester Preis: Jedes Jahr werden hier die angeblich schlechtesten Filme, Regie und Schauspielerinnen und Schauspieler der Saison „ausgezeichnet“. Doch was als ironischer Gegenpol zu den Oscars angelegt ist, verfehlte nicht selten die Pointe.
Weil die Goldene Himbeere eher Stimmungsbarometer als präzises Urteil ist, tauchen in ihrer Geschichte immer wieder Filme auf, die aus heutiger Sicht weit positiver betrachtet werden.
Einige Werke wurden schlicht missverstanden, andere passten nicht in den Geschmack ihrer Zeit, wieder andere lösten Debatten aus, die inzwischen völlig anders bewertet werden. Und: Einige der heute meistgeliebten Filme mussten sich Spott gefallen lassen, bevor sie Kult wurden. Hier sind zehn Nominierungen bekannter Filme, die aus heutiger Sicht überraschen.
Der Pate – Teil III (1990)
Sofia Coppola wurde 1991 gleich in zwei Kategorien für die Goldene Himbeere nominiert – Schlechteste Nebendarstellerin und Schlechtester Newcomer –, was oft als frühes Beispiel der später viel breiteren „Nepo-Baby“-Debatte gelesen wird. Die Tochter des Regisseurs war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 18 Jahre alt. Ihr Spiel in Der Pate - Teil III ist zurückhaltend, manchmal unsicher – Eigenschaften, die heute durchaus als Teil des Figurenkonzepts lesbar sind.
Spannender ist aber, was danach folgte: Als Regisseurin hat Sofia Coppola ihre eigene filmische Handschrift entwickelt, etwa mit The Virgin Suicides, Lost in Translation, zuletzt Priscilla. Die Razzie-Nominierungen markieren damit weniger ein vernichtendes Urteil als einen Ausgangspunkt, von dem sie sich konsequent emanzipiert hat.
The Addams Family (1991)
Schwarzer Humor, morbider Stil, makellose Ausstattung – und trotzdem eine Nominierung für den Schlechtesten Song. Ironischerweise gewann die Fortsetzung Addams Family in verrückter Tradition den Negativpreis dann sogar. Dabei fängt Barry Sonnenfelds Film mit Anjelica Huston und Raul Julia perfekt ein, was Familie als Gegenkultur bedeutet: Gothic-Eleganz trifft auf sentimentale Zärtlichkeit.
The Addams Family ist keine Komödie über „Freaks“, sondern über die Heuchelei der Normalität – und darüber, wie souverän man außerhalb ihrer Regeln leben kann. Eine Nominierung für schlechten Geschmack ist da eher ein Hinweis darauf, wie eigenständig der Film sich bewegt.
Batman Begins (2005)
Auch Christopher Nolans Batman Begins fing sich 2006 eine Nominierung für die Goldene Himbeere ein, in der Kategorie Schlechteste Nebendarstellerin für Katie Holmes. Und ja, ihre Darstellung von Rachel Dawes gehört nicht zu den Höhepunkten des Films. Katie Holmes wirkt in der Rolle oft zurückhaltender, als es die emotionale Dynamik verlangt, und bleibt neben den markanten Figuren erstaunlich blass.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Christopher Nolan hat über die Jahre hinweg immer wieder gezeigt, dass komplexe Frauenfiguren nicht seine Stärke sind. In The Dark Knight Rises wird Marion Cotillards Figur zur Plot-Funktion, in Inception bleibt wurde sie zur Projektionsfläche für Trauma, und selbst in Oppenheimer geraten Emily Blunt und Florence Pugh trotz Präsenz in den Hintergrund männlicher Innenwelten.
Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung (1999)
Gleich sieben Nominierungen für die Goldene Himbeere, darunter Schlechtester Film, Schlechteste Regie und eine viel diskutierte Nominierung für den jungen Jake Lloyd, zeigen wie enorm der Erwartungsdruck 1999 war. Episode I - Die Dunke Bedrohung erschien als erster neuer Star Wars-Film seit über anderthalb Jahrzehnten — und wurde durch eine nostalgisch aufgeladene Brille betrachtet, die wenig Raum für Experimente ließ.
Der Film ist nicht fehlerfrei, aber visuell kühn, politisch ungewöhnlich ambitioniert und technisch seiner Zeit weit voraus. Die damaligen Razzie-Reaktionen wirken heute eher wie ein Stimmungsbild. Und gerade rückblickend besitzt Episode I eine kantige Eigenheit, die den glattpolierten Star Wars-Produktionen der Gegenwart fehlt.
Der Glöckner von Notre Dame (1996)
Die Kategorie Schlechtest geschriebenes Drehbuch eines über 100-Millionen-Dollar-Hits war 1996 eine spontane Erweiterung des Razzie-Katalogs – und Der Glöckner von Notre Dame landete darin, wohl weil der Film tonal nicht in die damalige Disney-Erwartung passte. Das Werk bewegt sich zwischen Musical, historischer Tragödie und moralischer Parabel.
Dass diese Mischung irritierte, ist verständlich: Animationsfilme waren in der Wahrnehmung des Publikums enger definiert als heute. Dabei ist Der Glöckner von Notre Dame visuell opulent, thematisch überraschend erwachsen, musikalisch kraftvoll und damit vielleicht der mutigste Disney-Film der 1990er Jahre.
Das Ding aus einer anderen Welt (1982)
Die Schlechteste Filmmusik-Nominierung für Ennio Morricone ist ein herrliches Paradox: Der Score, einst als „zu minimalistisch“ kritisiert, gilt inzwischen als Musterbeispiel atmosphärischer Reduktion. John Carpenters Film war 1982 schlicht zu kühl, zu kontrolliert und zu misanthropisch, um euphorisch aufgenommen zu werden.
In der Ära bombastischer Orchesterklänge fiel diese Zurückhaltung „unangenehm“ auf. Die Razzie-Wertung zeigt vor allem, wie schwer sich Publikum und Kritik mit radikaler Nüchternheit tat. Heute ist Das Ding aus einer anderen Welt ein Klassiker, dessen Soundtrack ganze Generationen von Sci-Fi- und Horror-Autoren geprägt hat. Manchmal ist das Unheimlichste eben das leise Summen im Hintergrund.
Interview mit einem Vampir (1994)
Die Nominierung für Schlechtestes Leinwandpaar (Brad Pitt und Tom Cruise) wirkt im Rückblick vor allem als Hinweis darauf, wie unklar damals die Kategorien der Goldenen Himbeere definiert waren. Interview mit einem Vampir erzählt eine Beziehung, die dicht, aber narrativ untypisch ist – zu intim, um rein platonisch zu sein, aber zu atmosphärisch, um in klassische Romantik zu fallen. Neil Jordan interessierte sich weniger für „Chemie“ im konventionellen Sinne als für das Zusammenspiel zweier Weltsichten.
Heute wirkt die Nominierung vor allem wie ein Kommentar auf die eigentümliche Zurückhaltung des Films. Interview mit einem Vampir inszeniert die beiden Figuren bewusst als platonisches Duo, obwohl die literarische Vorlage weit komplexere, queere Unterströmungen kennt. Zum Glück holt die aktuelle Serienadaption das nach: Die romantische Beziehung zwischen Lestat und Louis steht mit all ihren Widersprüchlichkeiten im Fokus.
Das fünfte Element (1997)
Die Nominierungen für Milla Jovovich (Schlechteste Nebendarstellerin) und Chris Tucker (Schlechtester Newcomer) zeigen vor allem, wie ungewöhnlich Luc Bessons futuristische Science-Fiction-Oper damals erschien. Dabei ist Das fünfte Element genau der frische Wind, den Hollywood damals braucht. Der Film bricht mit Konventionen, ist überdreht, sinnlich, kompromisslos stilisiert.
Mila Jovovichs „Leeloo Dallas Multipass“ wurde zur Ikone weiblicher Pop-Sci-Fi, Chris Tuckers schrill-exzentrischer Radiostar zur Drag-Queen-Extravaganz avant la lettre. Heute lässt sich gut erkennen, wie konsequent Das fünfte Element seine eigene Bühne baut und wie bewusst mit der Überzeichnung gearbeitet wurde: Eine barocke Vision einer Zukunft, in der Überforderung bewusst gesetztes Stilmittel ist.
Joker (2019)
Dass Joker 2020 für Rücksichtsloseste Missachtung von Menschenleben und öffentlichem Eigentum nominiert wurde, klingt eher wie eine ironische Fußnote als nach ernsthafter Kritik. Todd Phillips’ düstere Origin-Story ist eine der seltenen Comicverfilmungen, die ihre Gewalt als Systemkritik begreift. Joaquin Phoenix’ Arthur Fleck ist keine Glorifizierung des Bösen, sondern das ambivalente Porträt einer Gesellschaft, die unweigerlich Außenseiter hervorbringt. Joker ist unbequem – und will es auch sein. Dass die Razzies darauf mit einer eigenen Kategorie reagierten, zeigt vor allem, wie stark Joker in den popkulturellen Debattenraum wirkte.
Umso amüsanter ist der Blick auf die Fortsetzung: Joker: Folie à Deux sammelte 2025 gleich sieben Razzie-Nominierungen ein und gewann zwei davon – darunter Schlechteste Fortsetzung und Schlechtestes Leinwandpaar für Phoenix und Lady Gaga. Und hier kann man durchaus von einer treffsicheren Entscheidung sprechen.
The Shining (1980)
Kaum zu glauben, aber Stanley Kubricks Meisterwerk des psychologischen Horrors wurde 1981 gleich doppelt für die Goldene Himbeere nominiert – für Schlechteste Regie und Schlechteste Schauspielerin (Shelley Duvall). Aus heutiger Sicht wirkt das erstaunlich, denn Stanley Kubricks strenges, beinahe mathematisches Stilbewusstsein, das damals als „kalt“ missverstanden wurde, prägte ein ganzes Genre.
Shelley Duvalls zittrige, erschöpfte Performance wiederum ist nicht Ausdruck mangelnder Technik, sondern integraler Teil der zerbrechlichen Psychodynamik des Films. The Shining ist kein Werk, das sich anbiedert. Es zwingt sein Publikum in eine Stimmung, aus der man nicht leicht entkommt. Und das, was den Film damals ungewöhnlich machte, sichert ihm nun seinen Status als Filmklassiker.

































































































































































































































