Vince Gilligan, der Meister moralischer Ambivalenzen (Breaking Bad, Better Call Saul), wendet sich der Science-Fiction zu: Und Pluribus ist „Mindfuck“ im allerbesten Sinn. Eine Serie, die Bewusstsein selbst zum Spielmaterial macht und Glück als subtile Form von Gewalt zur Disposition stellt. Zwischen Parabel und Paranoia werden die Schattenseiten der Harmonie verhandelt: das Unheimliche, das entsteht, wenn niemand mehr widerspricht.
Damit reiht sich Pluribus in eine neue Generation von verstörend guter Science-Fiction ein, die weniger auf technische Spektakel als auf psychologische und moralische Erschütterung zielt. Auch die folgenden Serien befragen, was vom Menschen bleibt, wenn Systeme ihn zu perfektionieren versuchen – mal als Thriller, mal als leise Meditation zwischen kaltem Bürolicht, digitaler Transzendenz und metaphysischer Sehnsucht.
10. Maniac ( 2018)
Maniac ist eine Serie über Heilung und über die Unmöglichkeit, sie zu erzwingen. Cary Joji Fukunaga schickt Emma Stone und Jonah Hill als verlorene Seelen in ein Drogenexperiment, das ihre inneren Welten kollidieren lässt. Zwischen Retroästhetik, Traumlogik und bittersüßer Melancholie entsteht eine Erzählung, die an Eternal Sunshine of the Spotless Mind erinnert, aber kaputter und greller ist.
In ihren besten Momenten ist die Serie ein mitreißender Kommentar auf unsere Sehnsucht nach Kontrolle über das Unkontrollierbare. Maniac richtet sich an ein Publikum, das bereit ist, sich in Stilen, Stimmungen und Zeitebenen zu verlieren. Ein filmischer Fiebertraum, der so schön taumelt, dass man kaum merkt, wie tief er geht.
9. Orphan Black (2013–2017)
Orphan Black war, lange bevor Severance das Konzept in eine Near-Future-Dystopie übersetzte, die Serie über das fragmentierte Selbst. Tatiana Maslany spielt gleich ein Dutzend Klone und macht jeder Figur mit eigener Stimme, Haltung und Verletzlichkeit einzigartig. Zwischen Bioethik, Überwachung und Identitätschaos entwickelt das Schauspielkunststück ein Tempo, das philosophische Fragen nicht rein theoretisch, sondern vor allem körperlich erzählt.
Im Gegensatz zum nüchtern-technologiekritischen Blick von Severance bleibt Orphan Black eher ein energiegeladener Thriller: Zugänglich, temporeich, aber nie banal. Und anders als Pluribus besteht die Serie darauf, dass Multiplikation des Ichs nicht immer Auflösung bedeutet, sondern manchmal auch Selbstfindung.
8. Tales from the Loop (Prime Video, 2020)
Tales from the Loop übersetzt Science-Fiction in Nachdenklichkeit. Basierend auf einem Artbook des schwedischen Künstlers Simon Stålenhag erzählt die Serie von einer Kleinstadt, in der das Alltägliche und das Unmögliche ineinanderfließen. Roboter, Zeitschleifen und verschobene Realitäten erscheinen nicht als Spektakel, sondern als natürliche Erweiterung menschlicher Sehnsüchte.
Jede Episode fragt leise, was Erinnerung, Verlust und Identität bedeuten, wenn Technologie selbst zu einer Form von Intimität wird. Im Gegensatz etwa zur epischen Breite von Westworld, bleibt Tales from the Loop introspektiv: eine Sammlung stiller Parabeln über das Leben im Schatten des Fortschritts.
7. Matrjoschka (2019–2022)
Nadia stirbt – und wacht wieder auf: Aus dieser simplen Zeitschleife macht Matrjoschka ein metaphysisches Puzzle über Selbsttäuschung und Reue. Natasha Lyonne spielt die ewig Wiedergeborene mit einer Mischung aus Zynismus und Zärtlichkeit, die an The Truman Show erinnert. Der Humor der Serie ist schneidend, ihre Tiefe beiläufig, ihr Existenzialismus von Zigarettenrauch durchzogen
Matrjoschka ist weniger Sci-Fi im technischen Sinn als eine Reflexion über Zeit, Trauma und weibliche Autonomie. Gegenüber dem kühlen Intellekt von Severance wirkt Matrjoschka anarchisch verspielt, fast punkig. Am Ende steht die Einsicht, dass Erkenntnis oft mit Wiederholung beginnt und, dass Scheitern manchmal die ehrlichste Form des Fortschritts ist.
6. Black Mirror (2011–)
Black Mirror bleibt das Referenzwerk, gegen das sich alle „Mindfuck“-Sci-Fi-Serien, die danach kamen messen lassen müssen: Kaum eine andere Produktion dieses Jahrtausends zeigte derart konsequent, wie Technologie menschliche Abgründe spiegelt und schärft, wie Charlie Brookers Anthologie-Serie. Jede Episode ist ein moralisches Gedankenexperiment, mal brilliant, mal grausam, oft beides.
Wer die Serie heute sieht, erkennt: Ihre dystopischen Visionen sind zum Teil längst Alltag. Die späteren Fortsetzungen haben etwas an erzählerische Kraft verloren, aber gerade die frühen Staffeln haben auch nach über einem Jahrzehnt sie nichts von ihrer Relevanz engebüßt – höchstens an (Rest-) Komfort. Und das ist ein großes Kompliment.
5. Sense8 (2015–2018)
Die Wachowskis schufen mit Sense8 eine Serie, die den kollektiven Geist feiert, ohne ihn zu fürchten. Acht Menschen auf verschiedenen Kontinenten teilen Bewusstsein, Erinnerungen und Gefühle – eine Utopie der Empathie in Zeiten globaler Fragmentierung. Während Pluribus die Vereinheitlichung als Horror entlarvt, inszeniert Sense8 sie als Befreiung: Glück nicht als Zwang, sondern als etwas, das erst aus dem Miteinander entsteht.
Die Serie ist emotional, queer, überbordend, manchmal pathetisch – aber in ihrem aufrichtigen, utopischen Wunsch nach Verbundenheit unvergleichlich. Wer den Zynismus von Dystopien satt hat, findet hier das Gegenmodell: Science-Fiction als Liebeserklärung an das Menschliche. Ein globaler Chor, der nicht verbissen nach Harmonien sucht, sondern echte Resonanz.
4. Devs (2020)
Alex Garland fragt in Devs, ob Technologie Glaube ersetzen kann. In der goldgetauchten Welt eines Tech-Unternehmens versucht ein Entwickler, den Code des Universums zu entschlüsseln – und findet darin die Grenze zwischen Erkenntnis und Anmaßung. Die Serie ist langsam, meditativ, mitunter schwer, doch sie entfaltet zwischen hypnotischen Bildern eine fast religiöse Gravität. Wie Pluribus behandelt Devs das Verhältnis zwischen freiem Willen und Determinismus, allerdings ohne Spott.
Devs richtet sich an Zuschauerinnen und Zuschauer, die in Serien eher ein nach spannenden Gedankenexperimenten als Eskapismus suchen. Ein leises, erhabenes Werk über die Arroganz des Wissens, den Wunsch, das Unerklärliche zu verstehen und stattdessen Demut schenkt.
3. Severance (Apple TV+, 2022–)
Kaum eine Serie hat das moderne Arbeitsleben so präzise seziert wie Severance. Die Prämisse – eine Firma trennt das Bewusstsein ihrer Angestellten in Arbeits- und Privatperson – wirkt absurd, ist aber erschreckend plausibel. Die sterile Architektur, das kühle Licht, der rhythmische Minimalismus erinnern an Kafka in Corporate Design. Severance ist ein perfekter Begleiter zu Pluribus: Beide erzählen vom Verlust des Selbst als Systemfehler. Beide zeichnen Routine als Horror, die Unterwerfung aber als ein noch viel größeres Übel.
Adam Scott spielt die Einsamkeit eines Rades im Getriebe mit entwaffnender Sanftheit. Besonders geeignet für alle, die das Gefühl kennen, sich montags selbst an der Tür abzugeben – und freitags nicht mehr zu wissen, wer man war.
2. Westworld (2016–2022)
Westworld bleibt die wohl ehrgeizigste Allegorie über Bewusstsein, Macht und Schöpfung seit Blade Runner. Was als Western-Attraktion beginnt, entfaltet sich zur vielschichtigen Parabel über den freien Willen. Jonathan Nolans Serie ist zugleich intellektuelles Rätsel und melancholisches Epos, das die Hybris der Menschen seziert. In ihrer dritten Staffel verliert sie zwar erzählerisch etwas Fokus, gewinnt aber an politischer Dimension.
Wer Pluribus für zu hermetisch hält, findet hier eine zugänglichere, aber nicht weniger verstörende Serie. Für Fans von Ex Machina oder Devs bleibt Westworld ein Muss – visuell erhaben, philosophisch kompromisslos und mit einem der besten Plot Twists der jüngeren TV-Geschichte unvergesslich.
1. Pluribus (2025)
Es braucht Mut, um in einer Welt der Spaltung eine Serie über totale Einigkeit zu drehen. In Pluribus infiziert ein außerirdisches Virus die Menschheit mit ewiger Glückseligkeit – nur Carol (Rhea Seehorn), eine verbitterte Bestsellerautorin, bleibt immun. Aus dieser grotesken Umkehrung einer Utopie entsteht eine Meditation über Individualität, Kontrolle unter dem Deckmantel des Guten, und die Schattenseiten, die von Harmonie ausgehen können.
Pluribus ist keine Wohlfühl-Science-Fiction, sondern wirft verstörende Fragen auf: Was bedeutet Individualität noch, wenn Glück und Gleichheit zur Norm erklärt werden? Was, wenn die Menschheit ohne Ego tatsächlich besser dran ist? Und ist eine Welt ohne Widerspruch wirklich friedlicher, oder nur stiller?

































































































































































































































