Queere Filme erzählen oft von Momenten, die nicht groß aussehen müssen, um alles zu verändern. Diese Geschichten leben davon, dass sie niemanden glätten: weder die Sehnsucht noch die Unsicherheit, weder die Verletzlichkeit noch den Mut, den es kostet, sich überhaupt zu zeigen.
Viele Filme, die heute selbstverständlich wirken, konnten nur entstehen, weil andere Werke wie Boys Don’t Cry, Blau ist eine warme Farbe oder The Danish Girl gezeigt haben, dass queere Perspektiven tragende Erzählungen sind. Die zehn Filme hier knüpfen daran an, aber jeder auf eigene Weise. Manche bleiben nah am Alltag, andere setzen auf formale Präzision, einige gehen politisch vor, andere folgen zwei Menschen durch stille Räume. Was sie verbindet: Sie schaffen Orte, in denen Figuren vorkommen, die sonst oft übersehen werden, und genau darin liegt ihre Stärke.
10. Paris brennt (1990)
Die Dokumentation führt in die Ballroom-Szene von New York, in der Menschen lebten, die außerhalb dieser Räume kaum Sicherheit fanden. Die Kamera begleitet sie durch Wohnungen, Hinterzimmer, Wettbewerbe und Gespräche, die direkter sind, als man es aus Filmen dieser Zeit kennt. So entsteht ein Porträt einer Gemeinschaft, die sich selbst tragen musste: nicht idealisiert, nicht beschönigt, aber voller Würde. Die Stärke liegt darin, dass der Film niemanden interpretiert – er lässt Stimmen wirken, wie sie sind. Gleichzeitig bleibt die Erzählform offen: viele Einblicke, aber kein durchgehender Bogen, weil die Figuren nebeneinanderstehen. Das macht seine historische Bedeutung enorm, seine filmische Verdichtung aber kleiner. Neben Tangerine L.A. spürt man genau das: Dort trägt eine Figur die gesamte emotionale Linie eines Tages; hier teilt sich Bedeutung auf viele Leben auf. Paris brennt bleibt ein unverzichtbares Fundament, reicht aber trotzdem noch nicht an höhere Platzierungen heran.
9. Tangerine L.A. (2015)
Eine trans Frau kämpft sich durch einen Tag in Los Angeles, und der Film bleibt dabei so nah an ihr, dass man fast das Gefühl bekommt, mitzulaufen. Die Szenen wirken spontan, manchmal laut, oft komisch, aber darunter liegt eine Erfahrung von Zurückweisung, die immer wieder durchbricht. Das iPhone-Bild gibt dem Ganzen eine Offenheit, die nicht nach Authentizität sucht, sondern einfach zeigt, wie es ist. Der Film konzentriert sich auf eine einzige Figur und trägt dadurch eine klare, direkte Energie. Gleichzeitig bleibt der Umfang klein: ein Tag, ein Konflikt, ein innerer Druck. Das macht ihn intensiver als Paris brennt, aber weniger vielschichtig als Filme, die breiter angelegt sind. Direkt neben Pride sieht man, warum er nicht höher rutscht: Tangerine L.A. bleibt ein Funken, während Pride sein Ensemble stärker miteinander verzahnt. Ein rauer, lebendiger Film, der genau deshalb hier steht.
8. Pride (2014)
Queere Aktivisten unterstützen walisische Bergarbeiter, und aus dieser zunächst unwahrscheinlichen Begegnung entsteht etwas, das beiden Gruppen fehlt: Solidarität, die sie im eigenen Umfeld nicht finden. Der Film zeigt, wie Vertrauen langsam wächst, manchmal in einer Küche, manchmal auf einer Dorfparty, manchmal in einem Moment, in dem jemand zugeben muss, dass er sich geirrt hat. Die queere Perspektive steht im Zentrum, aber die Inszenierung bleibt zugänglich und warm. Jede Figur hat Gewicht, ohne die Handlung zu überfrachten. Gleichzeitig ist Pride klassischer aufgebaut als die Filme weiter oben: klarer Konflikt, klare Auflösung, eine Dramaturgie, die spürbar geführt wird. Pride bleibt jedoch weniger bei inneren Wendepunkten, sondern wirkt stärker im Ensemble. Ein Film, der verbindet und Mut macht, aber nicht die emotionalste Tiefe dieser Liste erreicht.
7. Die Taschendiebin (2016)
Zwei Frauen geraten in eine Beziehung, die weder geplant noch erlaubt ist, während ein Betrug vorbereitet wird, der sich zunehmend auflöst. Der Film baut eine Spannung auf, die nicht aus schnellen Wendungen entsteht, sondern aus Beobachtung: einem Blick, einer Berührung, einer Frage, der man ausweichen möchte. Perspektivwechsel und stilistische Präzision sorgen für ein Gefühl von Kontrolle, das die Figuren selbst kaum besitzen. Die Inszenierung ist kunstvoll, aber nicht kalt; sie lässt Raum, um die beiden Frauen ernst zu nehmen. Dennoch rückt die Konstruktion manchmal näher an den Vordergrund als das Gefühl selbst. Im Vergleich zu Milk, das stärker auf eine einzelne Persönlichkeitsentwicklung fokussiert ist, bleibt Die Taschendiebin etwas distanzierter. Ein brillanter Film, der seine Emotionen vorsichtig ausspielt - genau deshalb landet er an dieser Stelle.
6. Milk (2008)
Harvey Milk kämpft darum, als offen schwuler Politiker ernst genommen zu werden, und der Film zeigt, wie mühsam es ist, Öffentlichkeit und Privates zu verbinden, ohne daran zu zerbrechen. Man spürt, wie viel Mut es kostete, in einer Zeit sichtbar zu sein, in der Sicherheit alles andere als garantiert war. Der Film folgt seinem politischen Weg, aber auch seinen Zweifeln und seinen Versuchen, Nähe zuzulassen. Dadurch entsteht ein klares Bild eines Mannes, der lernen musste, sich nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst einzusetzen. Gleichzeitig bleibt die Struktur vergleichsweise klassisch: Sie trägt den Film stabil, aber sie öffnet weniger Innenräume als spätere Platzierungen. Daneben wirkt Carol konzentrierter auf innere Bewegungen - die Spannung entsteht dort zwischen zwei Frauen, nicht zwischen Politik und Privatem. Milk bleibt ein eindringliches Porträt, aber kein filmisch radikales.
5. Carol (2015)
Eine zufällige Begegnung in einem Kaufhaus entwickelt sich zu einer Beziehung, die leiser beginnt, als sie endet. Die Schritte von Distanz zu Nähe sind so fein erzählt, dass man manchmal erst spät merkt, wie sehr sich beide Figuren schon verändert haben. Jede Geste trägt Bedeutung, jedes Gespräch hält etwas zurück, das erst später Gewicht bekommt. Der Film vertraut seinem ruhigen Tempo und baut eine Spannung auf, die von inneren Entscheidungen lebt. Dadurch wirkt alles konzentriert und genau. Das macht ihn eleganter, aber auch zurückhaltender als einige der Filme weiter oben. Neben Porträt einer jungen Frau in Flammen fällt auf, dass dort noch mehr Freiheit zwischen den Figuren entsteht und ein radikalerer Fokus auf ihrem gemeinsamen Raum liegt. Carol bleibt ein wunderschön erzähltes Liebesdrama, dessen Stärke in seiner Ruhe liegt, und genau deshalb einen würdigen fünften Platz bekommt.
4. Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019)
Eine Malerin reist auf eine abgelegene Insel, um eine junge Frau zu porträtieren, die genau weiß, dass dieses Bild ihr Leben bestimmen soll. Aus der Aufgabe entsteht eine Begegnung, die vorsichtig beginnt und schnell tiefer geht, als beide erwartet haben. Der Film arbeitet mit Reduktion: wenige Figuren, klare Räume und kaum Ablenkung. Dadurch rücken Blicke, Bewegungen und Pausen in den Vordergrund, die sonst verschwinden würden. Die queere Perspektive wirkt selbstverständlich und frei - zumindest so frei, wie es die Zeit zulässt. Die Inszenierung ist genau, aber nie kalt; sie schafft Momente, die weit über das Bild hinaus wirken. Direkt neben Call Me by Your Name sieht man den Unterschied: Dort öffnet sich die Erzählung weiter in Erinnerung und Zeit, während Porträt einer jungen Frau in Flammen ganz im Moment bleibt. Ein stiller, konzentrierter Film, der gerade in seiner Klarheit viel Kraft hat.
3. Call Me by Your Name (2017)
Ein Sommer in Italien wird zum Wendepunkt im Leben eines jungen Mannes, der merkt, dass er sich verliebt hat, bevor er dazu bereit war. Die Szenen bleiben leicht, aber jede trägt etwas in sich, das später nachhallt: ein Gespräch im Schatten, ein Spaziergang, ein Missverständnis, das sich nicht ganz klären lässt. Die queere Perspektive entsteht aus der Unsicherheit des Erwachsenwerdens und der Frage, wie viel man sich selbst zugesteht. Die Erzählung wirkt nah, offen und unangestrengt, aber genau in dieser Einfachheit entsteht Tiefe. Neben Brokeback Mountain zeigt sich, warum dieser Film nicht höher steht: Dort ist der Konflikt existenzieller und die Grenzen enger gezogen, während Call Me by Your Name weichere Übergänge hat. Ein Film über ein erstes Gefühl, das länger bleibt, als man denkt.
2. Brokeback Mountain (2005)
Zwei Männer verlieben sich an einem Ort, der für Gefühle keinen Raum vorsieht. Die Jahre danach sind geprägt von Heimlichkeit, Rückzügen und Entscheidungen, die immer etwas verlieren lassen. Die Stärke des Films liegt darin, wie viel zwischen den Figuren unausgesprochen bleibt und wie deutlich man den Druck spürt, unter dem sie stehen. Die queere Perspektive zeigt sich hier als ständiges Ringen zwischen Wunsch und Sicherheit. Brokeback Mountain ist direkter und härter als die Platzierungen darunter, aber weniger komplex geschichtet als der Film an der Spitze, der eine innere Entwicklung über längere Zeiträume zeigt. Ein Werk, das bleibt, weil es sich weigert, etwas zu vereinfachen. Damit landet es fast ganz oben.
1. Moonlight (2016)
Chiron wächst mit einer Unsicherheit auf, die ihn durch drei Lebensphasen begleitet und sein Verhältnis zu Nähe und Stärke prägt. Der Film folgt ihm so genau, dass man sieht, wie früh er lernt, sich zu verstecken, und wie schwer es später wird, dieses Versteck zu verlassen. Die queere Perspektive ist tief in seinem Alltag verankert, nicht als Konflikt, sondern als ständige Frage danach, was er zeigen darf. Die Inszenierung arbeitet mit Blicken, Gesten und Körperlichkeit, die mehr erzählen als Worte es könnten. Dadurch entsteht eine Nähe, die selten wirkt und lange bleibt. Neben Brokeback Mountain zeigt sich der entscheidende Unterschied: Während dort eine Beziehung im Zentrum steht, öffnet Moonlight ein ganzes Leben - brutal, zart und widersprüchlich - aber immer ehrlich. Ein Film, der nicht ohne Grund mit ganzen drei Oscars ausgezeichnet wurde und sich auch hier den Spitzenplatz redlich verdient.

































































































































































































































