Seit Jahren gilt Stranger Things als Maß aller Dinge, wenn es um Retro-Ästhetik geht – doch die grellen Lichter, der Synthpop und das Monster-Pathos verstellen oft den Blick auf das, was Nostalgie auch bedeutet: das Lebensgefühl vergangener Jahrzehnte ernst nehmen, und damit auch ihre Brüche, Ängste und Hoffnungen zu zeigen.
Viele Serien wie Pose, Halt and Catch Fire oder It’s a Sin graben tiefer: Sie rekonstruieren nicht nur Mode oder Musik, sondern das Denken, Fühlen und Atmen ihrer Zeit. Sie zeigen, wie man die 1980er und 1990er nicht allein als Kulisse, sondern als geistigen Zustand erzählt – ehrlich, klug, und im besten Fall: erkenntnisreich.
11. Young Sheldon (2017–2024)
Was The Big Bang Theory nie wagte, gelingt dem Spin-off: Young Sheldon zeigt den hochbegabten Jungen, bevor er zum Neurotiker wurde – und verwandelt die texanischen 1990er in ein sanftes, kluges Familienporträt, in dem schnelle Lacher auf die bisweilige Einsamkeit des Anderen im Vorstadtidyll treffen. Die Serie fängt das Amerika der Satellitenschüsseln, Kirchenchöre und Schul-Footballs mit seltenem Feingefühl ein.
Statt allzu viel Ironie gibt es Wärme, statt Retro-Glitter bisweilen feine Melancholie. Nostalgie bedeutet hier nicht „Früher war alles besser“, sondern: „So haben wir gedacht, gehofft, gestritten.“ Young Sheldon ist eine leichtfüßige Erinnerung an Kindheit als Erkenntnisprozess – liebevoll, aber mit Blick auf die Schwierigkeiten, die das Erwachsenwerden hinterlässt.
10. Red Oaks (2014–2017)
Red Oaks ist das vielleicht eindeutigste Retro-Stück auf dieser Liste: Eine Sommerkomödie über einen 20-Jährigen im Jahr 1985, der zwischen Tennisplatz, Jugendträumen und Zukunftsangst balanciert. Die Serie besticht durch feine Beobachtung – viel Aufbruchstimmung und Witz treffen auf subtile Tristesse und einen Soundtrack, der zwischen The Smiths und Hall & Oates pendelt.
Kein greller Retro-Gestus, sondern das Gefühl eines Sommers, den man nie vergisst, stehen im Fokus. Red Oaks wirkt in seinen besten Momenten wie ein verloren geglaubter Film von John Hughes (The Breakfast Club), nur etwas reifer, klüger, wärmer. Ein melancholischer Abschiedsbrief an eine Zeit, die uns durch ihre (vermeintliche) Unschuld lockt.
9. GLOW (2017–2019)
GLOW zeigt die 1980er, wie sie selten erzählt werden: grell und doch widersprüchlich. Alison Brie und Betty Gilpin spielen zwei Schauspielerinnen, die im Wrestling eine Bühne finden – und zugleich ein Schlachtfeld. Denn hinter Pailletten und allerlei Haarspray entfaltet sich ein feinsinniges Drama über weibliche Selbstbehauptung, beruflichen Ehrgeiz und persönliche Verletzlichkeit.
Die Serie balanciert Camp und Charakterstudie, Humor und Ernüchterung gleichermaßen. GLOW liebt den Glamour seiner Zeit, aber seziert ihn auch: die Maskerade, den Sexismus, die ökonomische Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern. Nostalgie wird hier zum doppelten Boden, glitzernd, politisch, in den besten Momenten schonungslos ehrlich. Anders ausgedrückt: Wo Stranger Things schwärmt, zweifelt GLOW mehr.
8. When They See Us (2019)
Ava DuVernays When They See Us blickt auf die späten 1980er mit einer Wut, die spürbar kälter brennt als Nostalgie. Die Geschichte der zu Unrecht verurteilten „Central Park Five“ wird zum erschütternden Panorama von Rassismus, Justizversagen und medialem Voyeurismus. Das New York jener Jahre ist hier kein Schauplatz für Pop, sondern ein Systemfehler.
Mit großartigem Ensemble und dokumentarischer Genauigkeit legt DuVernay den Schmerz offen, der hinter jeder Retro-Verklärung liegt. When They See Us erinnert daran, dass die Vergangenheit nicht nur leuchtet. Eine Serie, die nicht erinnert, sondern mahnt.
7. Pose (2018–2021)
Ryan Murphys Pose leuchtet das New York der späten 1980er und frühen 90er wiederum als einen Kosmos aus Glitzer, Musik, Schmerz und Überlebenswillen aus. Zwischen Ballroom-Wettbewerben, Drag-Kultur und Aids-Krise erzählt die Serie von einer Gemeinschaft, die sich Schönheit erkämpft, wo die Welt sie ihr verweigern will.
Nostalgie ist hier kein Rückblick, sondern ein Statement: über Sichtbarkeit, Würde und queere Geschichte. Pose fängt den Zeitgeist jener Jahre in Bewegung, Farbe und Mode ein, ohne ihn zu verklären. Wo Stranger Things auf Pop-Ikonen verweist, erschafft Pose eigene – stolz, verletzlich und bisweilen bestechend schön.
6. Yellowjackets (2021–)
Wenn der Rückblick zum Albtraum wird: Yellowjackets lässt ein Mädchenfußballteam in den 1990ern nach einem Flugzeugabsturz in der Wildnis stranden – und konfrontiert die Überlebenden Jahrzehnte später mit ihren Dämonen. Zwischen Grunge, Kannibalismus und anderem Trauma entfaltet sich ein doppelbödiges Psychodrama über Schuld und gefährliche Gruppendynamiken.
Die Serie benutzt die 90er-Ästhetik nicht als Kulisse, sondern als Echo: Jede Kassette, jedes Lied von Nirvana, Garbage und Co. erinnert an das, was den Frauen verloren ging. Yellowjackets ist düster, bissig und hypnotisch – Nostalgie, die weh tut, weil sie das Unheimliche im Vertrauten zeigt. Wenn man so will: Ein Anti-Stranger Things, das sich traut, mitunter hässlich ehrlich zu sein.
5. Chernobyl (2019)
Kaum eine Produktion hat das Jahr 1986 mit so furchteinflößend realistischem Anspruch rekonstruiert wie Chernobyl. Craig Mazins Miniserie über die Nuklearkatastrophe in der Sowjetunion ist kein nostalgischer Rückblick, sondern ein Präzisionswerk über Wahrheit, Lüge und menschliche Hybris. Jared Harris und Stellan Skarsgård spielen Männer, die inmitten des Desasters moralische Klarheit suchen und im Prozess zu zerbrechen drohen.
Anders ausgedrückt: Chernobyl zeigt die 1980er als ein Jahrzehnt, das sich selbst vergiftete: mit Ideologie, Schweigen und Angst. Statt Retro-Gefühl dominiert politische Nüchternheit – ein Gegenbild zu jeder sentimentalen Verklärung der Dekade.
4. Derry Girls (2018–2022)
Derry Girls unterstreicht, dass die 1990er mehr waren als Boybands und Baggy Pants. Im Nordirland der „Troubles“ begleiten wir fünf Teenager, die zwischen Schulchaos, ersten Lieben und politischem Ausnahmezustand aufwachsen. Das Ergebnis: eine der witzigsten und zugleich menschlichsten Coming-of-Age-Serien der vergangenen Jahre. Sie verbindet deftigen Humor mit feinem Gespür für historische Realität – Popkultur trifft Pulverfass sozusagen.
Nostalgie entsteht hier nicht aus Requisiten, sondern aus der Erinnerung an jugendliche Freiheit inmitten von Ungewissheit. Derry Girls ist laut, ehrlich und manchmal überraschend berührend – eine Serie, die die 1990er tatsächlich lebendig werden lässt.
3. Halt and Catch Fire (2014–2017)
Mehr Geheimtipp als Quotenhit – und doch eine der besten Serien über den Aufbruch der 1980er und 1990er. Halt and Catch Fire folgt vier Pionieren der Computerära, deren Träume vom Internet sie antreiben und herausfordern: Lee Pace, Scoot McNairy, Mackenzie Davis und Kerry Bishé verkörpern Figuren, die zwischen Idealismus und Ehrgeiz zerrieben werden.
Die Serie ist elegant, präzise, voller technischer und emotionaler Spannung. Nostalgie bedeutet hier: Zurückblicken, um zu verstehen, wie der Fortschritt uns verändert hat. Halt and Catch Fire liefert kein dekoratives Retro-Stück, sondern vor allem digitale Melancholie aus der Gegenwart, klug und unterschätzt.
2. The Americans (2013–2018)
The Americans verwandelt die Reagan-Ära in eine stille, aber spannungsgeladene Meditation über Vertrauen und Verrat. Keri Russell und Matthew Rhys spielen sowjetische Spione, die als amerikanisches Ehepaar in den Vororten Washingtons leben – und ihre Kinder, Nachbarn und sich selbst belügen.
Die Serie nutzt 80er-Nostalgie nicht zur Zierde, sondern zur psychologischen Verdichtung: Angst, Ideologie und Familienleben verschmelzen zu einem hochpräzisen Drama. Kein Neon, keine falsche Sentimentalität: The Americans ist damit weniger Rückschau als Spiegel: der vielleicht klügste Blick auf ein Jahrzehnt, in dem das Private immer politisch war.
1. It’s a Sin (2021)
Russell T Davies’ It’s a Sin spielt im London der 1980er Jahre, wo eine Gruppe junger Männer zwischen Pop, Party und Panik ihre Jugend erlebt – bis die Aids-Krise alles verändert. Mit rhythmischer Erzählweise, brillantem Soundtrack und großem Herz erzählt die Serie von Freiheit, Angst und Zusammenhalt.
Nostalgie verwandelt sich hier bisweilen in Trauerarbeit: Die Euphorie dieser Zeit wird umso kostbarer, weil man weiß, wie tragisch sie für Viele endete. It’s a Sin ist eine Feier des Lebens, die Tränen hinterlässt – ehrlich, erschütternd und, mehr als alles andere, zutiefst menschlich. Eine Miniserie, die ihre Perspektive auf die Dekade nach fühlbar macht, statt nur die vielbesprochenen Aspekte der Geschichte nur zu zitieren.
































































































































































































































