Wer Serien vor allem über Streaming-Charts, Social-Media-Buzz oder die Startseiten der Plattformen entdeckt, verpasst zwangsläufig vieles. Denn nicht jede interessante Serie wird groß angekündigt, breit diskutiert oder vom Algorithmus nach oben gespült. Auch in diesem Jahr sind zahlreiche Produktionen erschienen, die leise gestartet sind, schlecht vermarktet wurden oder schlicht nicht in den hiesigen Serienkanon eingesickert sind – obwohl sie inhaltlich, formal oder politisch weit mehr zu bieten haben als vieles, was omnipräsent war.
Diese Liste versammelt Serien, die man leicht übersehen konnte, weil sie zwischen Genres stehen, gegen aktuelle Trends arbeiten, sich einer eindeutigen Zielgruppenlogik entziehen, und dennoch – oder gerade deswegen – einen zweiten Blick wert sind.
7. The Paper
Eine Workplace-Comedy die bewusst auf leise Beobachtung statt auf laute Pointen setzt: The Paper dreht sich um eine angeschlagene Lokalzeitung, im Fokus steht Ensemble aus Redakteurinnen und Redakteuren, Reporterinnen und Praktikanten, die zwischen Idealismus, ökonomischem Druck und persönlichen Eitelkeit ihren Alltag bestreiten. Anders als klassische Büro-Comedys interessiert sich die Serie stärker für Arbeitsprozesse: Recherche, Blattplanung, interne Machtkämpfe stehen im Fokus.
Humor entsteht dabei eher aus Reibung, weniger aus Überzeichnung. Gerade dadurch wirkt The Paper erstaunlich zeitgemäß – als Kommentar auf Medienkrisen und Sinnsuche im Job. Wer The Office oder Parks and Recreation mag, aber auch für eine realistischere, weniger karikatureske Variante offen ist, dürfte hier hängenbleiben. Warmherzig, klug und unterschätzt.
6. Long Story Short (2025)
Eine prägnant erzählte Animationsserie, der das seltene Kunststück gelingt, gleichzeitig verspielt und emotional präzise zu sein: In Long Story Short sind Zeitreisen nicht bloß Gimmick, sondern Motor für ein Familienchaos, das sich über Jahre, verschiedene Versionen und „Was-wäre-wenn“-Abzweigungen entfaltet. Dass die Serie von den „BoJack Horseman“-Machern kommt, merkt man sofort: Dialoge sitzen, Figuren tragen Widersprüche offen mit sich herum, und hinter vielen Gags lauert die Frage, was Beziehungen eigentlich prägt und wie viel sie aushalten.
Die Zeitstruktur erlaubt schnelle Perspektivwechsel – wer war wann unfair, wer hat wann nicht hingesehen, welche kleine Moment führte zu welchem großen Schlamassel? Für Fans von BoJack, aber auch etwa von Matrjoschka (2019) ein cleveres, warmes Kopfkino, das überraschend lange im Kopf bleibt.
5. Das Gift der Seele (2025)
Zugegeben: Der mit viel Pathos geladene deutsche Titel dieser im Original schlicht unter The Girlfriend bekannten Serie hilft nicht gerade beim Erwartungsmanagement. Anders, als es “Das Gift der Seele” vermuten ließe, handelt es sich bei der sechsteiligen Miniserie um eine packenden Crime-Thriller, der zuerst mit Spannung als mit psychologischer Tiefe überzeugt. Robin Wright (House of Cards) und Olivia Cooke (House of the Dragon) liefern eindringliche Performances als Mutter respektive neue Partnerin des Upper-Class-Spross’ Daniel (Laurie Davidson) ab, und geraten in ein zunehmend erbarmungsloses Machtspiel.
Mutter und neue Partnerin umkreisen einander mit scheinbarer Höflichkeit, doch jede Geste wirkt doppeldeutig, jedes Wort kalkuliert. Aus Zuschauersicht bleibt lange unklar, wer hier ein falsches Spiel treibt – oder ob beide längst zu Strateginnen geworden sind, die Eskalation bewusst in Kauf nehmen. Wer Sharp Objects (2018) oder intensive Charakter-Dramen mit begrenzter Länge mag, sollte hier unbedingt einen Blick riskieren.
4. The Hunting Wives (2025)
The Hunting Wives lässt sich hervorragend als bewusste “Anti-Trad-Wife”-Erzählung lesen – und als Gegenprogramm zu den vielen Western- und Heartland-Serien, die zuletzt erschienen sind. In einer wohlhabenden texanischen Gemeinde gerät eine zugezogene Frau in den Bann eines elitären, weiblichen Zirkels, dessen erstaunlich hedonistische Freizeitaktivitäten (Schießen, Trinken, und viel Sex) zunehmend ins Bedrohliche kippen.
Die Serie spielt gezielt mit konservativen Symbolen – Waffen, Ehe, Status – und dreht sie ins Subversive. Tonal bewegt sie sich geschickt zwischen Thriller, Soap und Gesellschaftssatire. Fans von Big Little Lies oder Desperate Housewives finden hier eine dunklere, politischere Variante, die Lust an Eskalation hat und trotz allem Camp erstaunlich präzise Geschlechter- und Machtfragen verhandelt.
3. The Rehearsal (Staffel 2, 2025)
Was wäre, wenn man die heikelsten Momente des eigenen Lebens vorher proben könnte? Genau von dieser Idee geht The Rehearsal aus. Comedian Nathan Fielder lässt reale Situationen in absurd detailgetreuen Simulationen nachstellen – Gespräche, Entscheidungen, ganze Abläufe. In Staffel 2 verschiebt sich der Fokus überraschend auf Luftfahrtsicherheit. Fielder untersucht, wie menschliche Fehler entstehen, die zu Flugzeugunglücken führen, und kommt zu einer ebenso simplen wie beunruhigenden These: Co-Piloten trauen sich in kritischen Momenten oft nicht, dem Kapitän zu widersprechen. Also beschließt er, genau das zu trainieren.
Was trocken klingt, wird schnell seltsam komisch. Nathan Fielder plant seine Experimente obsessiv genau, lässt unter anderem ein komplettes Terminal nachbauen – und verliert dabei selbst zunehmend die Kontrolle. Die Serie erklärt sich nebenbei und ist auch ohne Vorwissen gut zugänglich. Sie bewegt sich zwischen Comedy, Dokumentation und existenziellem Experiment und bleibt gerade deshalb so faszinierend.
2. Hacks (Staffel 4, 2025)
Hacks erzählt vom komplizierten Arbeitsverhältnis zwischen einer legendären, aber in die Jahre gekommenen Stand-up-Comedienne und einer jungen Autorin. Jean Smart und Hannah Einbinder tragen diese Beziehung mit messerscharfen Dialogen, aber auch mit erstaunlicher Verletzlichkeit. In Staffel 4 wird ihr Machtgefälle weiter verschoben: Karrieren stehen auf dem Spiel, Loyalitäten werden geprüft, und das vermeintlich Private bleibt stets politisch.
Dass Hacks im deutschsprachigen Raum dennoch als Nischentitel gilt, wirkt angesichts der Auszeichnungen fast absurd. Die Serie wurde mehrfach mit Emmys geehrt, ebenso mit Golden Globes. Sowieso ist Hacks weit mehr als eine Showbusiness-Comedy: Sie verhandelt Generationenkonflikte, weibliche Sichtbarkeit und öffentliche Wahrnehmung mit großer Präzision – witzig, scharf und nie belanglos.
1. The Narrow Road to the Deep North (2025)
Keine klassische Kriegsgeschichte, sondern eine Erzählung über Erinnerung, Schuld und das Fortleben von Trauma. In The Narrow Road to the Deep North steht ein australischer Militärarzt im Zentrum, der während des Zweiten Weltkriegs in japanische Kriegsgefangenschaft gerät – und dessen Erfahrungen ihn ein Leben lang verfolgen. Jacob Elordi verkörpert die Figur in jungen Jahren, Ciarán Hinds spielt ihr späteres Ich. Zwischen die brutalen Lagererfahrungen schiebt sich eine verbotene Liebesgeschichte, die zum emotionalen Gegenpol der Gewalt wird und wie ein innerer Fluchtpunkt funktioniert.
Die Serie springt zwischen Zeitebenen, verbindet extreme körperliche Härte mit stillen, beinahe kontemplativen Momenten. Regisseur Justin Kurzel setzt auf Zurückhaltung statt Pathos – und gerade das macht die Serie so eindringlich. Sie interessiert sich weniger für Heldenerzählungen als für moralische Ambivalenzen und emotionale Nachwirkungen. Anspruchsvoll, schwer, zugleich poetisch, tief beeindruckend – und das Beste, das dieses Serienjahr zu bieten hatte.





























































































































































































































